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Zuzügler: Keine Leute, keine Leute: Kaliningrad hofft auf Zuzügler. (Foto: Plath./rufo) | |
Dienstag, 26.06.2007
Kaliningrad: Erste Übersiedler kommen aus Lettland
Thoralf Plath, Kaliningrad. Die ersten Zuzügler aus Lettland sind im Kaliningrader Gebiet angekommen. Der staatliche Migrationsdienst rechnet in 2007 mit bis zu 3000 Neusiedlern. Arbeit gibt es für sie mehr als genug. Nur keine Wohnungen.
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Als Gouverneur Georgij Boos kurz nach seinem Amtsantritt vor zwei Jahren begann, um Einwanderer für das Kaliningrader Gebiet zu werben, weil eine Modernisierung der heruntergewirtschafteten Exklave sonst nicht zu schaffen sein würde, hatte er besonders die in den baltischen Republiken lebenden Russen im Blick. Boos erntete vor allem Skepsis. Aus dem blühenden, freien Baltikum ausgerechnet nach Kaliningrad? Nicht wenige hielten das für einen schlechten Scherz.
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Doch allmählich beginnt sich der in Fahrt kommende Aufschwung der russischen Ostsee-Provinz jenseits der Grenzen herumzusprechen. In der vorigen Woche kamen die ersten Umsiedler in Kaliningrad an – zehn Russen aus Lettland.
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Minister kommt zur Begrüßung
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Die Leute wurden empfangen wie Staatsgäste. Kaum dass die Maschine der AirBaltic auf dem Flughafen Chrabrowo ausgerollt war, gab es Blumen und Präsente zum Empfang, und der Minister für regionale Entwicklung der Gebietsregierung höchstselbst, Michail Pluchin, kam zur Begrüßung: „Wir haben Sie sehr erwartet und hoffen, dass bald noch mehr Familien Ihrem Beispiel folgen.“ Grenzabfertigung, Zollkontrolle, Migrationsformalitäten – das alles ging verdächtig schnell an diesem Tag.
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| Gouverneur: 300 000 Übersiedler eingeladen: Gouverneur Georgij Boos (rechts). (Foto: Plath/.rufo) |
„Fehlt nur noch der rote Teppich“, meinte Dina Dolmatowa lachend, über so viel öffentliche Interesse über ihre Ankunft in der neuen Heimat ziemlich erstaunt. Für sie habe der Entschluss, nach Russland zu ziehen, schon seit langem festgestanden, erzählt die diplomierte Ökonomin, die bislang in Salaspils bei Riga lebte. Und sich um die lettische Staatsbürgerschaft nie bemüht habe, wie sie sagt: „Wozu? Ich habe einen russischen Pass und den wollte ich behalten.“
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Zusammen mit ihrem Mann will sie nun den Neustart auf Russlands „EU-Insel“ wagen. Berufserfahren im internationalen Tourismus-Business, dürfte eine Arbeit in Kaliningrad schnell gefunden sein. Fast alle Branchen suchen Fachkräfte.
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Auch Witalij Kasjanow aus Riga macht sich um Arbeit keine großen Sorgen. In Lettland sei das schwierig gewesen, vor allem mit dauerhafter Anstellung, sagt der gelernte Schlosser mit Schiffbau-Erfahrung, der in Riga zuletzt in einer Autowerkstatt jobbte und nun in seinen Beruf zurück will. Das sollte schnell gehen: Die Jantar-Werft sucht verzweifelt Facharbeiter, hat derzeit über 700 Stellen offen, wie Werftchef Nikolaj Wolow jüngst der Migrationsbehörde meldete – in der Hoffnung auf das Einwanderungsprogramm.
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Wohnungsmangel bremst Zuzug
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Nicht Arbeitsmangel ist das Problem der Kaliningrad-Übersiedler. Es ist, neben diversen bürokratischen Hürden und rechtlichen Unsicherheiten, zuvorderst eine andere Sorge: das Dach überm Kopf. Sanierte und dabei bezahlbare Wohnungen haben Seltenheitswert im Kaliningrader Gebiet.
Der wirtschaftliche Aufschwung und robuste Nachfrage heizen die Preise auf immer neue Rekordwerte – vor allem in der boomenden Gebietshauptstadt, wo man für ein Haus in Toplage inzwischen Millionär sein sollte und in der „Volks-Klasse“ fast nur die Wahl hat zwischen Sowjet-Wohnblock und Eigen-Remont, beides auch nicht eben billig.
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Der Mangel an Wohnungen bremst die Zuzugszahlen bislang nachhaltig. Auch die Neu-Kaliningrader aus Lettland ziehen erst einmal in Übergangswohnungen im Kreis Bagrationowsk, die eigens für Umsiedler gebaut wurden, in einer alten Armeekaserne.
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Doch um ihre vier Wände machen sich die Ankömmlinge noch keine großen Sorgen. Anna und Wladislaw Rontsch aus Riga haben schon etwas gespart, um eine Wohnung zu kaufen oder zu bauen. Auch Dina Dolmatowa will sich auf das künftige „Nest“ für sich und ihre Familie noch nicht festlegen. „Erst einmal ankommen, vieles hängt von der Arbeit ab. Schön wäre es, wenn man etwas finden könnte in einer kleinen Stadt in der Nähe von Kaliningrad.“
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Wettbewerb um Arbeitskräfte
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Auch in den „kleinen Städten“ der Exklave ist der Wettbewerb um Neusiedler längst in Gang. Denn nicht nur in Kaliningrad (60 000 offene Stellen) fehlen Leute – auch in umliegenden Orten kennt man das Problem. In Gurjewks (Neuhausen), Bagrationowsk (Preussisch Eylua) oder Gwardejsk (Tapiau) betreiben manche Unternehmen mittlerweile kostenlose Busse, um die Leute morgens abzuholen und abends wieder nach Hause zu bringen. Oder planen gleich den Bau von Wohnungen für das betriebseigene Personal.
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Zuzugsbremse: Arbeits gibts genug, nur keine Wohnungen. (Foto: Plath/.rufo) | |
In Gwardejsk soll, eigens für Zuzügler, ein ganz neuer Stadtteil entstehen. In der Grenzstadt Mamonowo (Heiligenbeil) läßt der für seine Umtriebigkeit bekannte Bürgermeister Oleg Schlyk, in den 1990er Jahren zugezogen, gerade ein großes leerstehendes Militärobjekt in eine schmucke Siedlung für 800 Einwanderer umbauen.
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Die Wohnungen sollen für etwa 550 Euro pro Quadratmeter verkauft werden – dreimal günstiger als in Kaliningrad. „Man muss den Leuten etwas bieten, dann werden sie auch kommen“, ist Schlyk sicher. „Auch eine Kleinstadt hat Lebensqualität, und bis in das Zentrum Kaliningrad ist es nicht weit.“ Der Stadtkreis Mamonowo geht in seinem Entwicklungsprogramm bis 2016 von einem Zuzugsbedarf von 8000 Menschen aus. Mehrere große Investitionen polnischer Firmen hängen schon jetzt davon ab, dass es genügend Arbeitskräfte gibt.
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120 Familien auf gepackten Koffern
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So könnte es sein, dass bald die nächsten Einwanderer aus dem Baltikum eintreffen. Nach Angaben von Sergej Sawin, Chef des regionalen Migrationsdienstes, bereiten sich allein in Lettland etwa 120 Familien auf die Übersiedlung nach Kaliningrad vor. Ingsgesamt geht man in diesem Jahr von etwa 3000 Zuzüglern aus.
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Ein Tropfen auf den heißen Stein, verglichen mit dem Fachkräftemangel. Und noch meilenweit entfernt von der Zahl, die Gouverneur Boos vorschwebt: Er rechnet damit, dass in den nächsten zehn Jahren 300 000 Menschen in die Exklave ziehen.
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Russlanddeutsche „Rückkehrer“ erwartet
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Auch aus Deutschland. Noch in diesem Jahr werden nach Angaben der Regionalregierung mehrere hundert russlanddeutsche „Rückkehrer“ in Kaliningrad erwartet.
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Dieser Zuzug läuft freilich etwas leiser ab als das offene Werben im Baltikum: Die Ansiedlung von Russlanddeutschen im früheren Ostpreußen hat schon einmal für politische Turbulenzen gesorgt und gilt immer noch als heißes Thema.
Allerdings hat sich die vermeintliche „Regermanisierung“ Königsbergs durch deutschstämmige Familien aus Kasachstan schon in den 1990er Jahren als großer Unsinn erwiesen. Die Zeiten sind vorbei, in denen russische Nationalisten und deutsche Neonazis, jeder auf seine Weise, mit solchen Themen Stimmung machten.
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Im Gegenteil und allem Getöse von Grenzsperrzonen und angeblichen politischen Eiszeiten zum Trotz: Das Kaliningrader Gebiet öffnet sich immer mehr und ist sehr praktisch dabei, sich zu einer Brücke zwischen Russland und der EU zu entwickeln. Etwas anderes bleibt der Region auch kaum übrig.
Bald wird daher auch der Umzug von (Russland)Deutschen in das frühere Königsberg so normal sein gerade wie die Ankunft der Russen aus Lettland.
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Die übrigens war der Kaliningradskaja Prawda eine ausgesprochen patriotische Titelzeile wert: „Angekommen in der Heimat“. In Kants alter „Stadt der praktischen Vernunft“ scheint wirklich nichts mehr unmöglich.
Thoralf Plath, Kaliningrad (tp/.rufo/Kaliningrad)
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